29. Mai 2021

Ethik und Moral in Videospielen

Ethik und Moral in Videospielen - Was dürfen wir und wo ist die Grenze?

Wo enden Ethik und Moral und wo beginnen Gewalt und Aggression?

Am 19.05 war es endlich so weit: Die alpha hat ihren ersten Themen Abend im Sommer Semester 2021 abgehalten. Thema: Ethik und Moral in Videospielen. Die Hauptredner des Abends waren Andreas Dittmann (Webredakteur), Anja Schmidt (Studentin) und Dr. Benjamin Strobel (Videospiel Psychologe).

Die Darstellung von Moral und Ethik in Computerspielen

Den Beginn macht Andreas „Andy“ Dittmann mit dem Thema „Die Darstellung von Moral und Ethik in Computerspielen“. Er selbst hat an der Hochschule Ansbach Kulturjournalismus studiert. Anschließend  hat er seinen Master an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg in Medien-Ethik-Religion absolviert.

Andy geht in seinem Vortrag auf die Werke des Autors Miguel Sicart ein. Sicart beschreibt Computerspiele als moralische Objekte und aus dieser Definition entnimmt er das Potential von Gut und Böse. Spiele haben Spielregeln, welchen Handlungsraum für das moralische Subjekt bieten: der Spielerin. Die Spielerin projiziert ihr moralisches Handeln live auf das Spiel. Nun folgt etwas Theorie.

Um die Ethik und Moral ins Spiel zu bekommen, eignen sich 3 Ebenen: die interaktive, narrative und ludische Ebene. In der ersten Ebene wird das bewusste Handeln der Spielerin untersucht, wie Entscheidungen, moralische Dilemmata und Interaktionen mit der Umwelt. Gefolgt von der zweiten Ebene: die Narrative. Die Erzählende definiert sich durch zufällige Ereignisse. Zum Beispiel die Geschichte, das Setting, die Charaktere und das Mirroring. Letzteres beschreibt das Spiegeln der Spielerhandlungen durch die Umwelt. Den Abschluss macht die ludische Ebene. Diese umfasst die Spielregeln und den ethischen Code des Mediums.

Die 3 Ebenen der Moral und Ethik in Spielen.

Die 3 Ebenen der Moral und Ethik in Spielen.

Fünf Spiele, fünf Aussagen

Fallout 3 baut auf einem klassischen Moral-Werte-System auf. So gibt es für gute Taten Pluspunkte und für schlechte Taten Minuspunkte. Dies prägt eine starke schwarz-weiß Sicht, unabhängig von den Folgen. Morrowind hingegen hat nur 2 Regeln: Nicht stehlen und nicht töten. Allerdings stellt das Spiel die Spielerin stark auf die Probe, da viele Quests auf das Brechen dieser Regeln hinauslaufen. Diese Einstellung zwingt sie zum einen über ihr Handeln, aber mehr über die Folgen nachzudenken.

Das nächste Spiel ist etwas ausschweifender: This War of Mine. Das Survival Spiel hat nur ein Ziel: Überleben. Der Protagonist ist ein Zivilist, welcher nachts durch Plünderungen vor moralische Fragen gestellt wird. Dadurch wird hervorragend auf dem moralischen Dilemmata balanciert:

  1. Die Konsequenzen der Entscheidungen sind unklar.
  2. Darauf folgt, dass die Spielerin moralisch immer versagt.
  3. Der Akteur kann immer zwischen Gut oder Schlecht entscheiden.
  4. Es muss eine Entscheidung geben.
  5. Die Entscheidungskraft ist ausschlaggebend für weitere Handlungsstränge.

Das moralische Dilemma kommt auch in The Banner Saga vor. Nur diesmal sind die Folgen wesentlich entscheidender, da sie erst viel später im Spiel auftreten. Ein Save and Reload um das eigene Gewissen zu beruhigen ist mit einem großen Verlust von Zeit- und Spielfortschritt verbunden.

Als letztes schauen wir uns Spec Ops: The Line an. Dieser vermeintliche 0815-Shooter wirft ethisch-kognitive Spannungen auf, welche dann entstehen, wenn das Spiel scheinbar die Regeln bricht. Die Spielerin erschießt Massen von Menschen, weil sie von der Narrativen als Böse definiert werden. Im Laufe des Spiels wird diese Rechtfertigung umgedreht, wodurch die Spielerin jede Legitimation für ihr Handeln verliert.

Wie sollten Spiele aufgebaut sein?

Spiele sollten also nicht nur unterhalten, sondern auch Themen ansprechen, welche kontrovers und nachdenklich sind. Das Problem ist aber, dass die Unterhaltung im Vordergrund steht. Wenn also eine ethische Botschaft zur Unterhaltung beiträgt, spricht nichts dagegen sich über diese Gedanken zu machen. Zu Aristoteles Zeit gab es das Theater und zu diesem sagte er: „Das Theater kann die Zuschauer ethisch schulen.“. Diese Aufgabe sollten alle Medien haben, allem voran interaktive Medien wie Computerspiele. Sie haben das Potential ethische Fragestellungen zu sensibilisieren. Genau das Potential kann und sollte man nutzen. Spaß macht es obendrein.

Verhalten in Game Companies

Als nächstes folgt die Medieninformatik & interaktives Entertainment Studentin Anja Schmidt. Ihr Vortrag handelt von der Ethik in Spieleentwicklungsfirmen. Sie gibt Tipps und Tricks zum Verhalten junger Entwickler. „Ein gutes Unternehmen orientiert sich an guten Grundsätzen, die nicht dem Gewinn dienlich sind.“. Mit dieser Erklärung zur Unternehmensethik beginnt Anja ihren Vortrag.

Firmen leisten einen großen Beitrag zur Wirtschaft. Gewinn zu machen ist daher keinesfalls moralisch verwerflich, sondern notwendig und wünschenswert. Jedoch müssen sie sich Fragen stellen, beispielsweise „Wie maximiere ich meinen Gewinn und bleibe Fair?“. Gegenüber dem Gewinn steht das Image einer Firma. Dieses muss positiv nach Außen getragen werden, da dies Einfluss auf Faktoren wie der Rekrutierungsrate, als auch den Aktienmarkt nimmt. Leider bezieht sich das lediglich auf die Außenwirkung. Niedrige Löhne, billiges Material oder sexistisches Verhalten am Arbeitsplatz machen oft Schlagzeilen und schädigen die Firma. Unternehmen sollten also auf langer Sicht moralisch gut handeln. Dafür eignet sich folgende Checkliste zur Kontrolle:

  1. Weißt sich die Firma mit moralisch guten Punkten aus?
  2. Grenzt sich das Unternehmen von negativen Punkten ab?
  3. Faire Gehälter und angenehmes Arbeitsklima.
  4. Mitarbeiter werden gefördert und optimal positioniert.
  5. Unternehmen generieren Profit um zu bestehen, aber sie bestehen nicht um Profit zu generieren!
Gewinn im Unternehmen - wie darf ein Unternehmen erfolgreich sein?

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Pros und Contras der Gaming Branche

Wie schlägt sich nun die Games Branche? Zuerst einmal die positiven Aspekte.

Innerhalb der Games Branche läuft vieles familiär. So „duzen“ sich Arbeiter einer Firma oft. Aber auch das Firmen übergreifende Netzwerk ist ein Pluspunkt. Egal in welchem Unternehmen man arbeitet, mit der Zeit lernt man viele Gesichter mit der gleichen Leidenschaft kennen. Das internationale Arbeiten, wie auch den breiten und diversen Einsatz seiner eigenen Fähigkeiten, lockt ebenfalls viele junge Entwickler an. Vom Coding, über Worldbuilding, bis hinzu Sounddesign und Storytelling, in dieser Branche existieren viele Arbeitsbereiche. Zu guter Letzt werden Leute per Mund-zu-Mund Anrede angeworben, was ein Indikator für eine riesige Community ist. In keiner anderen Branche kommunizieren Kunden und Entwickler soviel wie bei der Spielentwicklung.

Dies waren nun überwiegend soziale Punkte. Ethik und Moral sind allerdings auch sehr soziale Themen. Leider sind Bestandteile darin oft unmoralische Handlungen wie Crunches, Unter dem Wert verkaufen, Entlassungen und Toxizität.

Ein Crunch ist das Anhäufen von Überstunden in kurzer Zeit. Die fatale Sache daran: Ein Crunch kommt selten allein. Einer Umfrage der IGBA (International Gaming Business Academy) zufolge, haben 95% aller Entwickler Crunches durchleben müssen. Davon sind 80% ohne Auszahlung. Viele Entwickler steigen bereits in ihren Dreißigern oder Vierzigern wegen eines Burnouts aus. An dieser Umfrage waren hauptsächlich Arbeiter großer Firmen beteiligt.

Darauf folgt das „Unter dem Wert verkaufen“. Gerade angehende Entwickler haben noch nicht die Erfahrung gesammelt um ihre eigenen Fähigkeiten einschätzen zu können. Daraus folgen unfaire Löhne. Sagt man etwas dagegen oder werden Crunches abgelehnt folgt die Entlassung. Gerade dieser Punkt bleibt für Unternehmen oft ohne Folgen, da Nachschub direkt vor der Tür steht. Die Beliebtheit der Gaming Branche löst einen unfairen Konkurrenzdruck auf alle Beteiligten aus. Durch diese Einstellung werden Menschen entmenschlicht. Die daraus resultierende Toxizität rundet das Gesamtbild ab. Sexismus, Druck und das eigene Niedrigverkaufen sind die Folgen.

Aussicht auf Besserung?

Ja es wird besser, denn das Prinzip der Unternehmensethik greift. Durch Medien und Social Media wird Druck auf die Firmen ausgelöst. Aber auch Betroffene sprechen sich freier aus. Nur die bestehende hohe Nachfrage wirkt dagegen. Daher noch ein paar letzte Worte an angehende Entwickler: Wisst wie viel ihr wert seid. Verlangt diesen Preis aber erarbeitet ihn auch. Unterhaltet euch mit Angestellten bzw. lest Erfahrungsberichte. Und Gesundheit geht immer vor, passt auf euch auf!

Macht Gaming aggressiv?

Das letzte Thema wird von Dr. Benjamin Strobel präsentiert, doch er ist nicht allein. Zusammen mit Nicolas Hoberg (Kriminalpsychologe) und Merten Neumann (Psychologe) unterhält er sich über das Thema „Macht Gaming aggressiv?“. Anders als die bisherigen Vorträge, ist dieser Vortrag als Podcast aufgesetzt. Die 3 Psychologen reden über das „General Aggression Model“ und die daraus stark diskutierte Ableitung zu Videospielen.

Was ist was? Menschliche Züge im Bezug auf Videospiele erklärt.

Was ist was? Menschliche Züge im Bezug auf Videospiele erklärt.

Die Diskussion existiert spätestens seit dem ersten Spiel des Shooter-Genres. Doch bevor wir darin weiter eintauchen können, müssen Begriffe und Definitionen geklärt werden. Zum einen handelt es sich hier sich um theoretische Gedankengänge. Anders als in der Physik werden hier Dinge beleuchtet die einen theoretischen Ausgang besitzen und theoretisch möglich sind. Außerdem kann nicht jede Theorie bemessen werden.

Die zu untersuchende Aussage, im Bezug auf Ethik und Moral, ist klar: Fällt es mir leichter gewaltvoller zu handeln, wenn ich mit gewaltvollen Inhalten konfrontiert werde? Die Spielenden stellen einen direkten Bezug her, da man mitten in das Medium eintaucht. Außerdem ist es, soweit es im Rahmen des Spiels möglich ist, eine direkte Entscheidung der Ausführenden.

In der Psychologie spricht man von „Scripts“. Dazu ein Beispiel des Restaurant-Skripts: Man setzt sich rein, bekommt die Karte, bestellt, isst, bezahlt und geht nach Hause. Weicht nun etwas von diesem Skript ab, fühlt sich das komisch an. Scripts können aber auch eine aggressive Prägung bekommen, oder eine vorhandene sogar verstärken. Hinzu kommt der Desensibilisierungs-Faktor. Durch stetige Konfrontation bestimmter Reize, die eigentlich eine Ablehnung hervorrufen würden, führt die Kontinuität eher dazu diese Ablehnung auszusetzen. Die Folge daraus: Der Gewöhnungseffekt setzt ein, die Hemmschwelle sinkt und das Skript wird umgeschrieben. Soweit zur Theorie.

Von der Thesis bis zur Prüfung

Um Ergebnisse zu erhalten, bieten sich Experimente an. Diese sollten ohne Störquellen stattfinden. Das Problem dabei: Es gelingt nicht immer, die Teilnehmerzahl ist gering und die Ergebnisse sind nur als kurzweilige Resultate bekannt. Eine Korrelationsstudie hingegen erreicht durch Fragebögen eine viel breitere Masse. Hier liegt das Problem in der Ehrlichkeit & Erinnerungsfähigkeit der Testpersonen, wie auch das Beantworten gezielter Fragen. Um nun wirklich langfristige Aussagen treffen zu können, ist der Längsschnitt entscheidend.

Der Längsschnitt ist die aussagekräftigste Langzeit-Studienform.

Der Längsschnitt ist die aussagekräftigste Langzeit-Studienform.

Eine empirische Studie prüft in dieser Thesis den Zusammenhang von Videospielen und Gewalt. Dafür ist der Wert beim Effekt ausschlaggebend. Dieser Korrelationskoeffizient bewegt sich im Bereich von -1.0 bis 1.0. Die Null sagt dabei aus, dass keine Korrelation besteht. Die Eins hingegen bedeutet „perfekter Zusammenhang“, es steigen also beide Werte gleich an. Bei ihrem Gegenstück, der minus Eins, steigt wiederum nur ein Wert an während der andere Wert fällt. Ein perfekter, korrelativer Zusammenhang wäre demnach die Aussage „Immer wenn ich zocke, bin ich aggressiv.“.

Die Psychologen haben hier verschiedene Metaanalysen zusammengestellt. Dies sind mathematische Zusammenfassung von Einzelstudien. Es werden also mehrere Studien untersucht und deren Ergebnisse miteinander verrechnet. Das Resultat ist der Korrelationskoeffizient. Metaanalysen sind notwendig, um die geraume Menge an Studien zu einem Ergebnis zusammenzufassen. Seit den 2000ern wird das Gebiet der Gewalt in Videospielen stark untersucht und erforscht. Daraus resultierte eine Menge Studien und Ergebnisse. Eine Handvoll dieser Studien sind zu einer einzigen Metaanalyse zusammengefasst. Im Vortrag sieht man also eine zwanzigfache Zusammenfassung verschiedenster Studien aus verschiedenen Jahren.

Forschung und Schlussfolgerung

Der Durchschnittswert pendelt sich bei 0,12 ein. Dies sagt aus, dass ein geringer Zusammenhang zwischen Gewalt und Games besteht. Doch diese Beziehung ist äußerst gering, was die Forschenden in 2 Lager spaltet. Die Befürworter der Thesis sagen „Selbst ein minimaler Zusammenhang ist ein Zusammenhang.“. Die Gegenseite vertritt die Meinung „Dieser Zusammenhang ist verschwindend gering und sollte nicht berücksichtigt werden.“.

Die Metaanalyse ist unterteilt in Experimente, Korrelation und Längsschnitt. Daraus lassen sich gesonderte Aussagen treffen. So gehen Experimente stärker in Richtung Pro-Gewalt. Währenddessen bewegen sich die Längsschnitt-Analysen nahezu gegen Null. Das letzte Wort der Ethik und Moral aus diesem Vortrag könnte also wie folgt lauten:

Betrachtet man einen längeren Zeitraum, macht Gewalt in Videospielen nicht aggressiver. Für den Moment hingegen können Videospiele, im sehr geringen Maße, zu erhöhter Gewalt beitragen. Abschließend können wir also sagen: Wir selbst sind unseres  Glückes Schmied.
Wer eine Schuldzuweisung für sein gewaltverherrlichendes Handeln, oder das der Anderen in Videospielen such, wird auf lange Sicht nicht fündig. 

Über den Autor

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Stefan Neubauer

studiert Medieninformatik & interaktives Entertainment. In Projekten übernimmt er oft die Rolle des Projektmanagers und treibt so den Fortschritt maßgeblich voran. Seine besondere Fähigkeit äußert sich im Starten außergewöhnlicher Gesprächsthemen.